Rechtswahrn.
und Reurecht
Theodor Kipp
OTTO I lEBMANN, VerlaRshuchhandlung, BERLIN W.
FESTGABE .
DER JURISTISCHEN GESELLSCHAFT ZU BERLIN
ZUM 50 JÄHRIGEN DIENSTJUBILÄUM
SEINER EXZELLENZ, DES VIRKLICHEN GEHEIMEN RATS,
PRÄSIDENTEN DES RBICHSBANK- DIREKTORIUMS
Dr. RICHARD KOCH.
452 Seiten. Nebst einem Portrit des Jubilars. M. 12.—; eleg. geb. M. 14.501
Inhaltsangabe des ganzen Werkes:
ZUR GESCHICHTE DER JURISTISCHEN GESELLSCHAFT ZU BERLIN.
Von Dr. Hago Neuniann, Rechtsanwalt beim Kammergericht zu Berlin.
SOZIALE UND WIRTSCHAFTLICHE AUFGABEN DER ZIVILPROZESS-
GESETZGEBUNG. Von Dr. P«lix Vierhau«, Geh. Oberjustizrat und
▼ortr. Rat im preuD. Justizministerium, ordentL Honorarprofessor, Berlin.
BETRACHTUNGEN ÜBER DIE EIGENTOMERHYPOTHEK. Von WUh.
Kindel, Senatsprlsidenten beim Kammergericht zu Berlin.
RECHTSWAHRNEHMUNG UND REURECHT. Von Dr. Th. Kipp, ord.
Professor an der UniversitHt Berlin.
DER QUITTUNGSTRÄGER. Von Dr. Hugo Keyssner, Geheimem Justiz-
rat, Kammergerichtsrat a. D. zu Berlin.
DAS RECHT ZUM BESITZE. Von Dr. Martin Wolif, a. o. Professor an
der Universität Berlin.
AUS DEN GRENZGEBIETEN DER FRHIW ILLIGFN UND DER; STREITIGEN
GERICHTSBARKEIT. Von Kammergerichtsrat L. Busch zu Berlin.
DIE GESTALTUNGSRECHTE DES BÜRGERLICHEN RECHTS. Von Dr.
Emil Seckel, ord. Professor an der Universität Berlin.
VOM BANK- UND GESCHÄFTSWESEN DER PAPYRI DER RÖ.MERZEIT.
Von Dr. O. Gradenwitz» Professor an der Universität Königsberg i. Pr.
HANDELSVERTRÄGE ZWISCHEN GENUA UND NARBONNE IM 12. UND
13. JAHRHUNDERT. Von Dr. J. Kohler, ord. Professor an der Uni-
versität Berlin.
ZUR AUFSICHTSRATSFRAGE. Von Dr. RIetaer, Geh. Justizrat, Bank-
direktor zu Berlin.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen sowie direkt vom Verlage.
Fortsetzung auf Seite 3 dieses ümschlagef.
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RECHTSWAHRNEHMUNG
UND REURECHT.
Von
Dn Theodor ^ipp,
•rd. PnAMtar aa der UalvanMi BarUB«
Sonderausgabe aus der
Festgabe der Juristischen Oesellschaft zu Berlin
zum 50 jährigen Dienstjubiläum ihres Vorsitzenden,
des Wirklichen Geheimen Rats Dr. Richard Koch.
Berlin 1903.
Verlag von Otto Liebmann,
Buchhandlung für Rechts- und Staatswissenschafteil)
Steglitzerstraße 58.
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Alle Rechte, einscbliefllicb des Übersetzungsreclits, vorbehalten*
Draek von Brdtkopf & Hirtel In Ldptig.
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Itihflitsverzeichnis.
Scllft
Rechtswahrnehmung; Angriff und Verteidigung 110
I.
Rechtsgeschäfte — grundsätzlich unwiderruflich .... III
n.
Rechtswahrnehmende Anzeigen und Mitteilungen — in -
wieweit widerruflich . , . . . . . . . . . . . . . . 114
IIL
Gehorsam fordernde Erklärungen — grundsatzlich wider -
rufl ich 11 9
VL
Wahl zwischen verschiedenen Rechten . . . . . , . . , 12i
Einrederecht — seine Geltendmachung widerruflich ... 131
Im praktischen Rechtsleben spielen eine bedeutende Rolle
Erklärungen mannigfaltiger Art, mittels deren eine Partei
gegenfiber der anderen ihr Recht verfolgt oder sonst flure
Rechtsstellung wehrt Dabei ist nicht sowohl an blofie Be-
hauptungen und Bestreitungen» als vielmehr an solche Erklä-
rungen gedacht, welche vom Gesetz mit rechtlicher Erheblich-
keit ausgestattet sind. Der Kreis dieser Erklärungen ist groß.
In ihn gehören vorbereitende Schritte, wie die Mängelanzeige
beim Kauf (BGB. 478), die Anzeige von Verlust oder Be-
schädigung an den Gastwirt (703), aber auch Willenserklärungen
von sehr verschiedenem Inhalt: die Mahnung (284), ihr sel-
teneres Seltenstflcl[, die Abmahnung, so die des Eigentfimers,
des Verpfanders an den seine Rechte verletzenden Nießbraucher
oder Pfandgläubiger (1053, 1054, 1217), oder die des Vermieters
gegenüber dem Mieter, der von der Sache einen vertragswidrigen
Gebrauch macht (550, 553); verwandt der Mahnung, aber doch
verschieden von ihr die Anzeige an den Zeitbürgen, daß man
ihn in Anspruch nehme (777), eine Willenserklärung, obwohl
im Gewände einer Anzeige; dann die Fristsetzungen, zu denen
das BGB. nicht selten dne Partei der andern gegenfiber er-
mlchtigt, wie die Setztmg einer Frist zur Naturalherstellung
gegenüber dem Schadensersatzpflichtigen mit der Erklärung,
daß der Gläubiger nach Ablauf der Frist die Herstellung ab-
lehne (250), die Bestimmung einer Frist zur Urteilserfüllung
(283), einer Nachfrist gegen den im Verzuge befindlichen Geg-
ner bei gegenseitigen Vertragen (326), beides wiederum mit
Androhen der Ablehnung verspäteter Leistung.
Kann man die bisher genannten Erkllrungen Beispiele
von Angriffserklärungen nennen, so bieten Beispiele für
Verteidigungserklärungen etwa die Zurückweisung einer ein-
seitigen Erklärung eines in der Geschäftsfähigkeit Be-
schränkten mangels Vorlage schrifdicher Einwilligung des
gesetzlichen Vertreters (Ul; ähnlich 174), die Zurückweisung
der Rflcktritiserklllrung mangels Entrichtung des Reugeldes»
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Kipp. Hl
gegen dessen Zahlung der Rücktritt vorbehalten war (359),
der Widerspruch gegen die Geltendmachung der Hypothek,
weil der Gläubiger nicht den Brief und die sonst erforder«
liehen Urkunden vorlegt, die Zurückweisung einer Mahnung
aus dem gleiclien Grunde (1160), die Bestimmung einer
Frist zur Ausübung des Rücktrittsrechts mit der Wirkung des
Ausschlusses im Falle der Versäumnis der Frist (355). Die
Anfechtung in ihrem weitgesteckten Gebiete kann rein defen-
siven Charakter haben, wenn sie nämlich nur ein Recht des
Gegners vernichtet; aber sie kann auch aggressiv sein, inso-
fern sie geeignet ist, dem Anfechtenden einen Anspruch zu
verschaffbn: wie 1>ei Anfechtung eines Erlafivertrages, einer
EigentumsQbertragung usw. Die Aufrechnung, insofern sie den
Anspruch vernichtet, gegen welchen aufgerechnet wird, ist
defensiver Natur; insofern sie dem Anspruch Befriedigung
verschafft, mit welchem aufgerechnet wird, könnte man sie
aggressiv nennen. Defensiv ist die Leistuogsweigerung des
Einredeberechtigten.
Diese Beispiele werden genügen, um den Kreis von Er-
klärungen zu kennzeichnen, von dem hier die Rede sein soll.
Und zwar gehen wir darauf aus, die wichtige und im BGB.
nicht genügend beantwortete Frage zu untersuchen, inwieweit,
wer eine derartige Erklärung zur Wahrunj^ oder Verfolgung
seines Rechts abgegeben hat, an sie gebunden ist, und inwie-
weit er imstande ist, von ihr abzugehen, sei es in der Ab-
sicht, auf die Vorteile, die sie ihm gebracht hat, rein zu ver-
zichten, sei es in dem Wunsche, sein Recht auf einem andern
Wege zu verfolgen, der ihn jetzt der bessere dfinkt.
L
Allerdings gibt es in dem beschriebenen Gebiete von £r-
klSningen manche, deren definitive, unwiderrufliche Natur ohne
weiteres klar erscheint Dahin gehSrt die Anfechtung; denn
sie vernichtet rückwirkend das anfechtbare Geschäft (142), und
folglich kann dieses nur neu errichtet, nicht aber durch Zurück-
nahme der Anfechtung wieder ins Leben gerufen werden.
Freilich hält De rn bürg' es für praktisch zweckmäßiger, die
Zurücknahme einer Anfechtung unter Zustimmung des An-
fechtungsgegners anzuerkennen. Tue man dies, so könne man
> Dem bürg, Das bürgerliche Reeht I S.355.
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112 Kipp.
in der nachtragHchen, unter Zustimmung des Anfeehtungs-
gegners erfolgten Bestätigung des angefochtenen Geschäfts eine
Zurücknahme der Anfechtung finden und der Bestätigung volle
Folge geben, so daß sie nicht als erneute Vornahme des Ge-
schäfts gelte, also nicht der Form der erneuten Vornahme des
Geschäfts bedürfe. Was damit für praktisch zweckmäßiger
erUirt wird» icheInt Dernburg auch als geltenden Redit In
Anqiruch nehmen zu wollen. Ich glaube aber nicht» dafi ihm
hierin beigetreten werden kann. Vielmehr ist daran featzu-
halten, daß eine Bestätigung nach erfolgter Anfechtung zu spit
kommt, auch wenn sie die Zustimmung des Anfechtungsgegners
findet. Man kann die vertragsmäßige Bestätigung des anfecht-
baren und angefochtenen Geschäfts im besten Falle als eine
vertragsmäßige Anerkennung seiner Gültigkeit behandeln. Aber
auch dann kommt man vom Standpunkte des geltenden Redita
aus nicht weiter, als dafi die VertragschÜefienden obligntorisch
gehalten sind, einander so zu behandeln, als wäre das Geachift
gültig geschlossen. M. a. W. man käme zu einer an sich nur
obligatorischen Wirkung (und zwar auch Rückwirkung) der
vertragsmäßigen Bestätigung; dinglich würde die Anerkennung
hier wie immer nur wirken können, wenn diejenigen Voraus-
aetzungen dinglicher Rechtswirkung, die außer der Einigung
gegeben sein mfiasen, gegeben aind oder geschaifett werden.
Ist jemandem anfechtbar Sgentum an einer l>eweglichen Sache
übertragen, die Anfechtung erfolgt, und soll mm die Eigentuma-
übertragung vertragsmäßig bestätigt werden, so kann das hur
geschehen unter der Voraussetzung, daß der Empßnger noch
im Besitze ist (929 S. 2) oder ihm die etwa von ihm bereits
zurückgelieferte Sache aufs neue übergeben wird. Und auch
dann wird er Eigentümer erst von dem Augenblick der Be-
stätigung oder vielmehr des Zusammentreffiena aller Voraus-
setzungen der neuen Elgentumafibertragung an; eine ding-
liche Rückwirkung können die Parteien nicht herbeiführen.
Aber nicht nur eine dingliche Wirksamkeit des Bestätigungs-
vertrages hängt von der Herstellung der vollen Voraussetzungen
dinglichen Rechtserfolges ab, sondern auch nach der obliga-
torischen Seite hin bedarf jener Vertrag der vollen, für das
zu beatitigende GeachSft vorgeschriebenen Formen, insbeson-
dere bei einem Vertrage auf GhmdstQcksflbereignung der Form
dea S 313 BGB. Unter gewiesen Umständen freilich kann diese
Form erspart werden. Wenn jemand durch betrügerische Vor-
spiegelungen, über den Ertrag seines Hauses einen Käufer für
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Kip p» 113
Cr ^ = ^
dasselbe anlockt und nach gerichtlichein oder notariellem Kauf-
vertrage die Auflassung stattfindet, dann der Käufer, nachdem
er sich von dem Minderertrage überzeugt hat, das Kaufgeschäft
anficht, so fällt es ihm natürlich nicht ein, die Auflassung an-
zufechten, weil er damit seine dingliche Sicherheit ohne Not
aus der Hand gäbe (er könnte die Auflassung auch gar nicht
anfiechten). Gesetzt nun, der Verkiufer bewegt den Käufer
durch eine Geldabfindung, die Anfechtung zurflckzunehmen»
so entsteht die Frage, ob es hier des erneuten Vollzuges der
Form des § 313 bedarf. Dies ist zu verneinen. Denn wie die
nachfolgende Auflassung und Eintragung des neuen Eigentümers
den Formmangel des vorangegangenen obligatorischen Kauf-
geschäftes heilt, so muß m. £. auch angenommen werden, daO
einer zu Recht bestehenden Auflassung und Eintragung ohne
weitere Form nachträglich eine obligatorisdie Grundlage ge-
schaffen werden kann.
Sind wir aber der Ansicht, daß eine Zurfieknshme der An-
fechtung selbst mit Zustimmung des Gegners rechtlich nicht
möglich ist, so müssen wir dasselbe um so mehr behaupten
für den Fall, der für unsere Untersuchung der wichtigere ist,
nämlich für den Fall der einseitigen Zurücknahme, deren
Möglichkeit fibr^sens «ttCh Deroburg nicht bdiauptet
Ebenso kann ein Vertrag, von dem ein Teil reditmäfiig
zurückgetreten ist, nur neu geschlossen, der Rücktritt aber nicht
einseitig zurückgenommen werden. Dies gilt sowohl dann, wenn
noch kein Teil geleistet hatte, der Rücktritt also nur die beider-
seitigen Verbindlichkeiten vernichtet hat — denn sie können
nach § 303 BGB. nur durch Vertrag wieder ins Leben ge-
rufen werden — wie dann, wenn bereits Leistungen erfolgt
waren — denn die entstandenen Rückleistungsrerbindlichkeiten
können nur durch Vertrag wieder beseitigt werden (307). Ent-
sprechend ist es auch völlig zweifellos, daß eine geschehene
Aufrechnung nicht einseitig widerrufen werden kann; denn die
einmal gemäß § 389 getilgten Verbindlichkeiten können nur
durch Vertrag neu begründet werden.
Unwiderruflich ist auch die Zurückweisung eines einseitigen
Rechtsgeschäfts mangels Vorlage der Vollmacht oder der Ein-
willigung des gesetzlichen Vertreters (174, III); denn sie macht
jenes Rechtsgeschäft und zwar rückwirkend — unwirksam,
woraus unweigerlich folgt, daß nur möglich ist, es nach Zurück-
nahme der Beanstandung zu wiederholen, nicht aber die Zurück-
nahme das Geschäft zu Kräften bringt. Dasselbe gilt von der
Festschrift der Jur. Gesellsciuft. KJpp. S
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114
Zurückweisung einer Hypothekenkflndigung oder Mahnung wegen
NichtVorlegung des Hypothekenbriefs (1 160). Alle diese Satze
entfließen dem einfachen und wohl allseitig anerkannten Prin-
zip, daß ein Rechtsgeschäft, sobald es in Kraft getreten ist,
d. h. also im allgemeinen mit Zugang an den Gegner, die ihm
eigentümlichen Wirkungen hervorbringt, und die damit ge-
schaffene Rechtslage nur auf eine vom Gesetz anerkannte
Weise wieder verindert, durch Widerruf des Rechtsgeschlfts
also nur dann aushoben werden kann, wenn das Gesetz den
Widerruf des GeschSfks besonders zuläßt.
II.
Nun handelt es sich aber bei der in Rede stehenden Gruppe
von Erklärungen keineswegs immer um Rechtsgeschäfte. Solche
sind nur Erklärungen, die durch ihren Inhalt Rechtsfolgen
setzen. Erklärungen anderen Inhalts sind Rechtsgeschäfte auch
dann nicht, wenn Rechtsfolgen von ihnen abhängen. Inwieweit
solche niclit rechtsgeschäftliche Erklärungen zurfickgenommen
werden können, bedarf der Untersuchung, und es ist nicht
immer auf den ersten Blick klar, ob man es mit einer rechts-
geschäftlichen oder einer nicht rechtsgeschäftlichen Erklärung
zu tun hat. Sprechen wir zunächst von den rechtswahrenden
Anzeigen und Mitteilungen, die zahlreich im BGB. erscheinen.
Hierbei sind drei Gruppen zu sondern. Es kann sich um wirk-
liche Anzeigen geschehener Tatsachen handeln, aber es kann
auch die Anzeige Surrogat dessen sein, was angezeigt wird. So,
um ein vorläufiges Beispiel zu geben, im Falle der Anzeige vom
Erlöschen einer Vollmacht, falls diese widerruflich ist (170).
Endlich kann auch von einer Absicht des Anzeigenden Mit-
teilung gemacht werden.
In der ersten Gruppe ist Zurflcknahme der Anzeige, die
keinerlei Dispositivakt enthält, nur in dem Sinne eines Zuge-
ständnisses der Unrichtigkeit ihres Inhalts denkbar. Dem Gast
ist Wäsche abhanden gekommen; er macht dem Wirt unver-
züglich Anzeige davon. Bei wiederholtem Nachzählen kommt
er zu der Ansicht, daß nichts fehlt, und er nimmt daher die
erste Anzeige zurück. Damit wird die Anzeige nicht unge-
schehen gemacht, es wird, wenn sie der Wahrheit entsprach,
der Gastwirt keineswegs durch die Zurücknahme von seiner
Hafhmg ohne weiteres entlastet. Ein negativer Anerkenntnis-
vertrag über den Anspruch ist nicht geschlossen; ein Vertrag,
dal} der Gast sich so behandeln lassen wolle, als habe er die
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KipP; U5
Anzeige nicht erstattet, ist gleichfalls nicht geschlossen; der
Gast kann, wenn sich die Anzeige trotz der Zurüclinahme
schliefilich docli als das Richtige herausstellt, seinen Anspruch
verfolgen, wenn er nur unverzüglich nach der neubefestigten
Überzeugung von dem Verluste die Anzeige wiederherstellt
Im übrigen unterliegt es der Würdigung aus § 254, inwieweit
es dem Anspruch des Gastes entgegensteht, daß er durch sein
falsches Zugeständnis eine Zeitlang die Nachforschungen unter-
brochen hat. Daß unter Umständen nach Parteiwillen die im
Einverständnis mit dem Gegner erfolgte Zurficknahme der
Anzeige einen EriaOvertrag darstellen kann, ist natürlich nicht
zu bezweifeln.
Ähnlich steht es mit der Zurücknahme der Mängelanzeige
beim Kauf. Daß diese Anzeige nicht ein bloßes Erzählen von
den Mängeln sein darf, sondern daß aus ihr für den Empfänger
klar hervorgehen muß, der Käufer behalte sich seine Rechte
wegen des Mangels vor, ist mit Dernburg' unzweifelhaft an-
zunehmen. Damit wird sie aber nicht zu einer Willens-
erklärung, sondern bleibt eine tatsächliche Anzeige, deren recht-
licher Hintergrund nur deutlich gemacht wird. Ein Wider-
ruf der Anzeige kann also auch seinerseits nicht den Cha-
rakter des \X^iderrufs einer Willenserklärung, sondern nur den
eines Zugeständnisses der Unrichtigkeit der Anzeige haben.
Ein solches — außergerichtlich abgelegtes — Geständnis kann
aber nicht Kr verbindlich angesehen werden. Also muß
man zu dem Ergebnis kommen, daß eine zurfickgenommene
Mängelanzeige wiederhergestellt werden kann. Die Wieder-
herstellung muß jedoch vor Ablauf der Verjährung geschehen,
um einredeerhaltend im Sinne von § 478 wirken zu können.
Ebenso muß sie beim Viehhandel innerhalb der zwei Tage
des § 485 erfolgen, wenn sie rechtserhaltend wirken soll.
Unter Umständen freilich ist auch hier anzuerkennen, daß die
Zurficknahme der Mängelanzeige Ausdruck des Verzichlswillens
in bezug auf die Mängelrechte ist; der Verzicht ist aber nur
als vertragsmäßiger bindend (3Q7).
Bekanntlich muß der Antragende, wenn die Annahme-
erklärung rechtzeitig abgesandt, aber in der Beförderung ver-
spätet ist, falls er dies erkennen mußte, dem Annehmenden
die Verspätung der Ankunft der Annahme unverzüglich an-
1 Oernburg, Das bürgerliche Recht II 2 S. 72 Anm. 10, das Recht VII
(190S) S. 137 f.
8*
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116
zeigen. Verzögert er die Absendung dieser Anzeige, so gilt
die Annahme 2te nicht verspätet (149). Kann der Mtragende,
naohdeiD die Anzeige dem Annehmenden zugegangen ist, die-
selbe widerrufen, sei es, weil wirklich die Annahme rechtzeitig
eingetroffen war, sei es, weil er sich nachträglich entschlossen
hat, sie als rechtzeitig erfolgt gelten zu lassen? In dem
ersten Falle, wenn die Annahme rechtzeitig eingetroffen war,
muß die Zurüclmahme der irrigen Behauptung, daß sie ver-
spätet sei, zugeiassen werden. Man muO freilich bedenken,
(taO der Annehmende aus der Anzeige herauslesen mußte, der
Antragsteller wolle von dem Vertrage nichts wissen, und dem-
gemäß vielleicht andere geschäftliche Dispositionen getroffen
hat. Dies reicht aber nicht aus, um den Schluss zu ziehen,
daß die unrichtige Anzeige von angeblicher Verspätung der
Annahme den Annehmenden von dem Vertrage entbinde.
Man müßte sonst zu dem Ergebnis kommen, daß auch jede
andere unrichtige Bestreitung der Gflltigkeit eines Vertrages
dem Gegner das Recht gäbe, den Vertrag als nicht geschlossen
zu behandeln. Nur das ist sicher, daß, solange die Bestrei-
tung stehen bleibt, dem Gegner aus der Nichterfüllung des
Vertrages kein Vorwurf zu machen ist, insbesondere also
kein Verzug eintritt (285), auch wenn dieser sonst ohne
Mahnung einträte. Disponiert der Gegner infolge schuld-
hafter Bestreitung der Gflltigkeit des Vertrages über das Ver-
tragsobjekt anderweitig und macht sich so die ErfiQllung un-
möglich, so ist im gegenseitigen Vertrage zu Lasten des
Bestreitenden $ 324 anwendbar, denn man muß sagen, daß
die Leistung infolge eines Umstandes unmöglich geworden ist,
den der Gläubiger zu vertreten hat. Wird aber die Bestreitung
(hier die falsche Anzeige von angeblicher Verspätung der An-
nahme) zurückgenommen, während res integra ist, so liann der
Gegner sich der VertragserfttUimg nidit weigern. Selbstver-
ständlich kann auch der Gegner trotz einer selbst entschuld-
baren Bestreitung der Gültigkeit des Vertrages den Annahme-
verzug herbeiführen, der Verschulden des Gläubigers nicht
voraussetzt; und zwar genügt wörtliches Angebot (295), denn
in dem Bestreiten der Existenz des Vertrages liegt natür-
lich die Erklärung, die Leistung nicht annehmen zu wollen.
Anders ist zu entscheiden, wenn die Anzeige von der Ver-
spätung der Annahme der Wahrheit entspricht. Dann Ist der
Vertrag durch die Verspätung der Annahme gescheitert; das
Eintreten der Fiktion des $ 140 S. 2 ist durch die Anzeige
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Kipp. ^ 117
definitiv ausgeschlossen, der Vertrag kann nur neu errichtet
werden. Ein Widerruf der Anzeige, nachdem sie dem An-
nehmenden zugegangen ist, ist somit nicht möglich. Danach
weist die Anzeige von der Verspätung der Annahme, obwohl
in dem Gewände der bloßen Mitteilung, doch sachlich als ein
recht8Vir]»amer Protest gegen das ZastandelLommen des Ver-
trages eine nalie Verwandtschaft zu den Reclitsgescliaften auf.
Eine zweite Gruppe der Anzeigen und Mitteilungen bilden,
wie bemerkt, die, deren rechtliche Wirksamkeit von der Wahr-
heit des Angezeigten unabhängig ist. So ist es in einer ganzen
Reihe von Fällen, z. B. bei der Kundmachung der Vollmacht
durch besondere Mitteilung oder öffentliche Bekanntmachung
(171); sie wirkt, auch ohne daß Bevollmichtigung stattgefunden
hat, wie die Bevollmichtigung selbst (171). Die Vollmacht,
die durch Erklärung gegenüber einem Dritten erteilt war, bleibt
ihm gegenüber in Kraft, bis ihm ihr Erlöschen von dem Voll-
machtgeber angezeigt wird (170). Kein Zweifel, daß diese Mit-
teilung auch dann die Vertretungsmacht dem Dritten gegenüber
vernichtet, wenn irgend ein Grund des Erlöschens der Voll-
macht sich nicht zugetragen hat. Dieser Satz gilt freilich nur
unter der Voraussetzung der Widerruflichkeit der Vollmacht,
eine Voraussetzung, die aber bekanntlich sehr regelmSflig cutrtift.
Die Mitteilung von dem Erlöschen der Vollmacht ist ebenso
eine durchsichtig verschleierte Art ihres Widerrufs (vgl. 168
S. 3, 167 Abs. 1), wie die Kundmachung der angeblich erteilten
Vollmacht eine Art der Erteilung der Vollmacht ist. Ebenso
ist die Anzeige von der Abtretung einer Forderung im Ver-
hältnis zwischen dem Anzeigenden und dem Schuldner ein
Surrogat der Abtretung selbst. Der Anzeigende mufi die Ab-
tretung gegen sich gelten lassen, auch wenn sie nicht stattge-
funden hat oder nicht wirksam ist (409). Entsprechendes gilt bei
der Anzeige des Vermieters von der Übertragung des Eigentums
an dem vermieteten Grundstück (576). Anzeigen von solchem
Charakter sind durchaus wie Rechtsgeschäfte zu behandeln, und
nur insoweit widerruflich, als das Gesetz die Möglichkeit einer
ZurQdLiiahffie eigibt (vgl. 576, 409, 168, 171). Wir verweilen
hierbei nicht länger, weil unter den Anzeigen dieser Art sich
solche selten finden, die man als rechtswahmehmende Akte
bezeichnen könnte. Immerhin läßt sich zu den Akten dieser
Art die Mitteilung von dem Erlöschen einer Vollmacht rechnen.
Auch die Mitteilung des Vermieters von der Eigentumsüber-
tragung hat insofern den Charakter eines rechtswahrnehmenden
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118
Kipp.
AkteSy tfs der Vermieter den Zweck verfolgt, gemäB $ 571
Abs. 2 S. 2 von der Haftung gegenüber dem Mieter loszu-
kommen.
Die dritte in Betracht zu ziehende Gruppe von Anzeigen
bilden die Ankündigungen einer auf Rechtsverfolgung gerichteten
Absicht des Anzeigenden. Hat sich ein Bürge für eine be-
stehende Verbindlichkeit auf bestimmte Zeit verbürgt, so wird
er nach dem Ablaufe der bestimmten Zeit frei, wenn nicht der
Gläubiger die Einziehung der Forderung ohne schuldhaftes
Zögern nach näheren Anforderungen des Gesetzes betreibt,
und ohne schuldhaftes Zögern nach der Beendigung des Ver-
fahrens gegen den Hauptschuldner dem Bürgen anzeigt, daß
er ihn in Anspruch nehme (777). Das Pfandrecht an einer
Forderung erstreckt sich auf deren Zinsen. Die Zinsfor-
derungen werden aber mit Ablauf eines Jahres nach Eintritt
der Fälligkeit von der Haftung frei, wenn nicht der Gläubiger
vorher dem Zinsschuldner anzeigt, daß er von seinem Ein-
ziehungsrechte Gebrauch mache (1289, vgl. 1123; s. auch 1124,
1125). Das sind Anzeigen von einer bevorstehenden Rechts-
ausübung. Sie sind noch nicht das unmittelbare Verlangen
des Gehorsams gegenüber dem Gläubigerrechte, nicht das
Verlangen der alsbaldigen Leistung, nicht eine Mahnung. Sie
zwingen den Anzeigenden natürlich nicht, demnächst von
seinem Recht wirklich Gebrauch zu machen.
Die Frage aber, die uns hier beschäftigt, ist die, ob die
Anzeige mit der Wirkung einseitig zurückgenommen werden
kann, daß alles so angesehen wird, als sei sie niemals er-
folgt, also mit der Wirkung, daß die Haftung des Bürgen als
erloschen, die Zinsforderung als pfandfrei geworden gilt, ich
glaube, daß diese Frage für den ersten der obigen Fälle zu
verneinen ist Ist die Anzeige einmal rechtzeitig erfolgt^ so
hat sie die Btirgschaftsverpflichtung gegen den ihr drohenden
Untergang gedeckt, und will der Gläubiger den Bürgen ent-
lassen, so muß zum Erlaßvertrage gegriffen werden, wobei
natürlich zu beachten ist, daß in der Erklärung, den Bürgen
nicht in Anspruch nehmen zu wollen, das Angebot eines sol-
chen Vertrages liegen kann. Wollte man einseitige Zurück-
nahme mit Wirksamkeit ausstatten, so würde man in Ermange-
lung einer Zeitgrenze im Widerspruch mit dem, dem Vertrags-
erfordernis beim Erlaß zugrunde liegenden Prinzip f&r unge-
messene Zeit die Existenz der Forderung gegen den Bürgen
von dem einseitigen Willen des Gläubigers abhängig machen.
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Kipp. 119
In dem zweiten Falle enuieht sich die Frage, welche Wir-
kung die Zurficknahme der Anzeige haben würde, der reinen
Beantwortung. Denn der PfiindglStibiger kann das Pftindreclit
an der Zinsforderung, wie jedes andere, durch einseitige Er-
klärung aufgeben (1273 Abs. 2, 1255 Abs. 1). Er kann also
auch in wirksamer Verzichtsabsicht die Anzeige zurücknehmen,
daß er von seinem Einziehungsrechte Gebrauch mache. Das
Recht der einseitigen Disposition des Gläubigers über sein
Pfandrecht wird aber auch zur Anerkennung des Satzes nötigen,
daß der Pfendgläubiger, auch wenn er nicht die positive Ver-
zichtsabsicht hat, durch Zurücknahme der Anzeige das Pfand-
recht in die Gefahr des Untergangs mit Ablauf des Jahres
zurückgeben kann. Es wird darauf ankommen, ob am Ende
des Jahres die Anzeige des Gläubigers, daß er von seinem
Einziehungsrechte Gebrauch mache, aufrecht steht.
In gewissen Fällen verlangt das BGB. zur Abwendung der
Gefahr des Untergangs eines Rechts, daß dasselbe bei einer
bestimmten Gelegenheit vorbehalten wird. Dies ist von der
Anzeige der Absicht der Rechtsausübung verschieden. Ist
eine Vertragsstrafe für den Fall nicht gehöriger Leistung be-
dungen, so kann der Gläubiger neben der Erfüllung die Strafe
nur dann verlangen, wenn er sich das Recht dazu bei der An-
nahme der Erfüllung vorbehält (34i Abs. 3). Beim Kauf gehen
die Rechte auf Wandelung, Minderung, Schadenersatz wegen
arglistig verschwiegener oder einer Zusicherung widersprechen-
der Mängel unter, wenn der Käufer, der einen Mangel bei der
Annahme kennt, sich nicht seine Rechte wegen desselben bei der
Annahme vorbehält (464). Ähnliches gilt beim Werkvertrage
(640). Liegt hier eine Ankündigung der Absicht der Rechtsaus-
übung vor? Ich glaube kaum. Sich seine Rechte vorbehalten,
heißt erklären, daß man sie behalten wolle, womit darüber, ob
man s!e ausüben werde, noch nichts gesagt ist. Der Sinn des
Vorbehalts ist: Deckung der Rechte gegen den sonst zu beffirch-
tenden Untergang. Demnach ist der Vorbehalt ein echtes
Rechtsgeschäft, welches den Untergang der Rechte abwendet.
Sollen sie nach Vollendung der Annahme zum Untergang ge-
bracht werden, so ist Zurücknahme des Vorbehalts dazu kein
geeignetes Mittel.
m.
Von den Ankfindigunges der Absieht kflnftiger Rechtssus-
fibung verschieden sind die Erklärungen, welche die gegen-
Digitizoa Ly Li(.)0^le
Kipp.
wärtige Ausübung eines Rechts auf ein Verhalten aes Gegners
darstellen, die Erklärungen, welche Gehorsam für ein be-
stehendes Recht dieser Art fordern. Dahin gehört vor allem
die Mahnung. Sie ist kein Rechtsgeschäft und zwar desw^en,
weil sie niclit durdi ihren Inlialt die Folge des Verzuges setzt,
sondern ilir Inlialt nur liis Verlangen der BeMedigung vegeo
der Forderung ist Der Verzug ist auch nicht einmal die un-
mittelbare Folge der Mahnung. Er tritt erst ein, wenn das
Zeitminimum fruchtlos verstrichen ist, welches ausgereicht
hätte, die Leistung zu bewirken. Dies ist unzweifelhaft so,
trotzdem das Gesetz sagt, wenn der Schuldner auf die Mah-
nung nicht leiste, so komme er durch die Mahnung in Verzug
(284). Damit kommt nur zum Ausdruck, daß mangels Leistung
der Verzug von der Mahnung an datiert wird; das ändert aber
daran nichts, daß erst das Ausbleiben sofortiger Leistung im
Anschluß an die Mahnung den Verzug begründet. Sieht man
aber auch die Mahnung als den eigentlichen Grund des Ver-
zuges an, so kann doch kein Zweifel darüber sein, daß er eine
gesetzliciie Folge der Mahnung ist, die durch ihren Inhalt
keineswegs gefordert wird. Aus gleichartigen Erwägungen er-
gibt sich, daO auch die Abmahnung von rechtswidrigem Ver-
halten, wie sie dem Eigentümer gegenüber dem Nießbraucher,
dem Verpfänder gegenüber dem Pfandgläubiger, dem Vermieter
gegen den Mieter zusteht, nicht Rechtsgeschäft ist, trotzdem
sich an die Nichtbefolgung Rechtsfolgen: das Recht, die An-
ordnung einer Verwaltung zu beantragen (1054), die Hinter-
legung des Pfandes zu verlangen (1217), das Kfindigungsrecht
(553) anknüpfen.
Es muß nun grundsätzlich behauptet werden, daß Willens-
erklärungen, die nach Ihrem Inhalt nur Gehorsam für ein be-
stehendes Recht verlangen, jederzeit mit Wirkung für die Zu-
kunft zurückgenommen werden können. Dies folgt aus dem
innersten Wesen des subjektiven Rechts. Mag der Verzicht
auf das Recht fremder Zustimmung bedürfen, wie bei der
Forderung der Ztutfmmung des Sdiuldnera» oder mag er ganz
ausgeschlossen eein, wie bei dem Anspruch auf künfijgen
Unterhalt unter Verwandten gerader Linie (1614); das ändert
nichts daran, daß die jeweilige Geltendmachung des Rechts
ausschließlich im Belieben des Berechtigten steht. Denn die
Frage der Verzichtbarkeit ist nur die Frage, in wie weit der
Berechtigte sich der Möglichkeit berauben kann, sein Recht
auszuüben, auch wenn er es ausüben möchte. Aber sein Recht
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gegenwärtig auszuüben, wenn er nicht will, ist der Berechtigte
niemals gezwungen, auch dann nicht, wenn er erklärt hat, es
ausüben zu wollen. Wer heute erklärt hat, er verlange sein
Geld, kann morgen sagen, daß er es nicht, oder zur Zeit nicht,
haben wolle, und er ^ndet dimit den Verzug des Schuldners.
Aber die Zurficknahme der Mahnung virkt auch nur für die
Zukunft. Die Obligation hebt sie nicht auf. Auch der An-
spruch auf das inzwischen aufgelaufene Verzugsinteresse wird
durch Zurücknahme der Mahnung nicht getilgt und die Stei-
gerung der Haftung des Schuldners, soviel die Zwischenzeit
angeht, nicht aufgehoben. Wenn der Käufer um Ablieferung
der Kaufsache gemahnt hat und am folgenden Tage schreibt,
der Verkäufer möge die Sache einstweilen noch behalten, die
Sache aber zwischen der Mahnung und ihrer Zurücknahme
durch Zufiül untergegangen ist, so haftet der Verkäufer auf
Schadenersatz wegen Nichterfüllung. Aber für die Zeit nach
der Zurücknahme der Mahnung hat der Schuldner kein Ver-
zugsinteresse zu leisten, und für diese Zeit ist seine Haftung
in Ansehung des Schuldgegenstandes wieder die normale.
In den Quellen des römischen Rechts ist über diese Dinge
freilich nicht alles klar. Scivola (D.XXII, 1, 47) respondierte,
daß wenn der Schuldner sich zur Übernahme des Prozesses
erbiete, der Gläubiger aber damit zögere, der Schuldner nicht
in mora komme. Ich würde nicht wagen, diese Entscheidung
auch für das BGB. zu verteidigen. Der Gläubiger, der nicht
Mut oder nicht Geld genug hat, um den Prozeß anzufangen,
nimmt damit die Mahnung keineswegs zurück und entlastet
den Schuldner nicht von den Folgen des Verzuges. Nur dann
treten diese Folgen nicht ein, wenn der Schuldner auf eine
(vom Standpunkte des fraglichen Schuldverhiltnisses aus be-
trachtet) entschuldbare Weise an die Verbindlichkeit nicht
glaubt. Dann aber kommt es auch nicht darauf an, ob er
sich zum Prozeß erbietet, und ob der Gläubiger den Prozeß
anfängt.
Auch Marcians Ausspruch (D. XXII, 1, 32, 3), daß die mora
ausgeschlossen ist, wenn der Gläubiger den Sichuldner gemahnt
hat, dann aber cum is sui potestatem faceret, omissa esset
rq>etendi debiti instantia, wird gewöhnlich auf das Unter-
lassen der Klageerfaebung bezogen'. Es kann aber auch ge-
1 Mommsen, Beittlse z. Oblicationeiireclit HI S.322S Windscheid
II $2814.
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122
(7=
Kipp.
meint sein, daß der Gläubiger, nachdem sich der Schuldner
eingestellt hat, ihn auch mit außergerichtlichem Dringen auf
Bezahlung verschont. Unklar bleibt bei dem Satze Marcians,
warttm angenonunen wird, es sei gar kein Verzug eingetreten
und niclit vielmeltr, der zuniclist begründete Verzug sei be-
endigt worden, da doch zwischen der Mahnung und dem sui
potestatem facere (von selten des Schuldners) ein Zwischen-
raum liegt. Jedenfalls aber kann sachlich kein Zweifel dar-
über sein, daß Zurücknahme der Mahnung zur Beendigung des
Verzuges geeignet ist; denn sicherlich erlauben die angeführten
Stellen, dies zu schließen, obwohl sie es nicht unmittelbar
sagen.
Bedenken erregt freilich ein Ausspruch Scavolas. Der
gleiche Einfluß, den die einseitige Zurficknahme der Mahnung
auf den Verzug hat, muß auch von einem Stundungsvertrage
ausgehen. Nun sagt Scävola D. II, 14, 54: Si pactus sum,
ne Stichum qui mihi debebatur petam, non intelligitur mora
mihi iieri mortuoque Sticho puto non teneri reum qui ante
pactum moram non fecerat Versteht man die Stelle von einem
Erlafivertrage, auf den ihr Wortlaut zunächst zu gehen scheint,
so will sie sich gar nicht schicken. Man sieht sich daher ge-
drängt, sie von einem Stundungsvertrage zu verstehen. Dann
ist das Nächstliegende, anzunehmen, daß zwar der Schuldner,
der vor der Stundung nicht in mora war, für den Fall des nach
dem Faktum erfolgten Todes des Stichus nicht haftet, wohl aber
derjenige, der vor dem Faktum bereits in Verzug geraten war.
Das Faktum hätte also nach Seite der Gefahr die Wirkungen
der mora nicht beseitigt Diesem Ergebnis suchen die Ausleger
mit verschiedenen Mitteln auszuweichen. So Fr. Mommsen',
indem er in erster Linie annimmt, daß Scävola an den Tod
des Sklaven zwischen Beginn der mora und Fristgewährung
denkt, eventuell aber, daß die dem Juristen vorliegende Sache
(zufällig) eine solche war, in der der Schuldner vor dem Fak-
tum nicht in Verzug geraten war, die Entscheidung aber auch
im entgegengesetzten Falle sich nicht ändern wi^e. Beide
Erklärungen können kaum befriedigen. Schon die ältesten
Ausleger, die Scholiasten der Basiliken, gehen in der Auf-
fassung der Stelle (Bas. XI, 1, 53) weit auseinander. Ist sie
textlich in Ordnung, so kann sie m. E. kaum anders denn als
ein Rest der älteren Anschauung (vgl. Faul. D. XLV, 1, 91, 3)
1 Mommsen, Beltifge zum Obiigatioaenrecht III S.329fi.
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verstanden werden, welche eine purgado morae überhaupt
nicht anerkannte. Von diesem Standpunkte aus ist sie sogar
verständlich, wenn man, worauf der Wortlaut drängt, sie von
einem pactum de non petendo in perpetuum versteht. Sie
würde dann für diesen Fall sagen, daß der Schuldner, der
nicht vor dem Pactum In Verzug geraten Ist^ durch den Tod
des Sklaven Ipso Iure befreit wird (non tenetur), während der
vor dem Faktum in Verzug geratene ipso iure tenetur, vor-
behaltlich der (exzeptiven) WirlLung des pactum de non pe-
tendo.
Wie dem aber auch sei, so scheint mir jedenfalls vom Stand-
punkte des BGB. aus nicht bezweifelt werden zu können,
daß einseitige Zurficknalune der Mahnung (et>en80 wie ein
Stundungsvertrag) für die ZulLunft den Verzug des Schuldners
beendet. Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange die
Leistung infolge eines Umstandes unterbleibt, den er nicht zu
vertreten hat (285). Ist nicht ein solcher Umstand auch der,
daß der Gläubiger die Leistung nicht wünscht? Und muß man
nicht sagen, daß, was für den Beginn des Verzuges gilt, auch
für seine Fortsetzung maßgebend bleibt? Eine unmittelbare
Entscheidung unserer Frage enthalt das BGB. allerdinga nicht;
es schweigt über die Beendigung des Verzuges gSnzUeh. Auch
die Motive behandeln die el^eitige Zurücknahme der Mahnung
nicht, sondern nur die vertragsmäßige Fristbewilligung (II S.67).
Daß mit ihr der Verzug endige, halten sie nur für viele, viel-
leicht für die meisten Fälle, für richtig. Mir erscheint es als
eine unausweichliche Notwendigkeit. Zutreffend ist zwar die
Ansicht der Motive, daß der Gläubiger sich bei Fristbewilligung
die Fortdauer der strengeren Haftung des Schuldners vorbe-
halten kann. Dann grfindet sich aber diese Haftung nicht auf
Fortdauer des Verzuges, sondern auf eine davon unabhängige,
bei jedem Schuldverhältnis mögliche Vereinbarung. Frist-
bewilligung unter Aufrechterhaltung des Verzuges wäre nur
eine solche, bei welcher der Gläubiger auch ausbedingt, daß
der Schuldner den vollen Schaden der weiteren Verzögerung
tragen solle. Das ist aber keine Frlstbewiliigung mehr, sondern
höchstens ein Versprechen der Verschonung mit Klage» welches
von der Stundung bekanndich durchaus verschieden ist.
Wie nach dem vorigen die Mahnung, so kann auch jede
andere Erklärung, die Gehorsam für ein Recht auf fremdes
Verhalten fordert, einseitig zurückgenommen werden, z. B.
kann die Abmahnung des $ 550 oder $ 1053 mit der Wirkung
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124 lüft
widerrufen werden, daß erst auf Grund der Nichtbefolgung
einer erneuten Abmahnung zur Klage geschritten werden kann.
Denn das ist selbstverständlich, daO die zurückgenommene
Mahnung oder Abmahnung jederzeit wiederhergestellt werden
kann, weil die Zurflcknahme nicht den Verzieht auf das zu-
grunde liegende Recht enthilt, sondern nur die Erklärung, von
der Befriedigung desselben einstweilen absehen zu wollen.
IV.
Die aufgestellten SStze erweisen sich fruchtbar auch zur
Oberwindung der Schwierigkeiten, welche sich in den nicht
seltenen Fällen ergeben, in denen das BGB. jemandem eine
Mehrheit von Rechten zur Wahl stellt. Die berühmtesten
Erscheinungen dieser Art sind die, welche auf dem Boden
der gegenseitigen Verträge bei der nachträglichen Unmöglich-
keit einer Leistung oder dem Verzuge einer Partei erwachsen.
Um klar zu sehen, ist es nötig, sich einen dieser Pille mit
den verschiedenen vom Gesetz dem Gläubiger gewährten Mög-
lichkeiten genau zu vergegenwärtigen. Nehmen wir die vom
Schuldner verschuldete gänzliche Unmöglichkeit einer Leistung.
Die Rechte des Gläubigers in diesem Falle gestalten sich be-
kanntlich dahin:
1) Er kann Schadenersatz wegen Nichterfüllung verlangen,
d. h. nach herrschender Ansicht: er kann sein Interesse an
der unmöglich gewordenen Leistung gegen Entrichtung der
vertragsmäßigen Gegenleistung verlangen. . Nach anderer An-
sicht kann er die Differenz verlangen zwischen seinem Ver-
mögensstande, wie er bei Behalten der Gegenleistung und
NichtempFang der Leistung ist, und wie er sein würde, wenn
Leistung und Gegenleistung ausgetauscht würden. Welche
dieser beiden Auffassungen die richtige ist, kann hier dahin-
gestellt bleiben.
2) Der Gläubiger kann vom Vertrage zurücktreten und die
von ihm etwa bereits entrichtete Gegenleistung mit voUer
Haftung des Gegners für Verschulden usw. nach MaOgabe des
$ 347 zurückfordern.
3) Er kann das Verschulden des Gegners ungerögt lassen
und die Rechte des § 323 geltend machen, d. h. er kann seine
Gegenleistungspflicht verneinen und die etwa bereits erfolgte
Gegenleistung nach den Grundsätzen von der ungerechtfertig-
ten Bereicherung wiederfordern.
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Kipp. 1 25
Cr" — ^ ""CSr ^ ^
4) Hat der schuldige Teil an Stelle des Leistungsgegen-
standes einen Ersatz oder Ersatzanspruch, so kann der nicht-
schuldige Teil Abtretung dieses Ersatzes oder Ersatzanspruches
fordern, selbstverständlich aber nur gegen die Gegenleistung.
Ist der Ersatz oder Ersatzanspruch an Wert der unmöglich
gewordenen Leistung nicht gleich, so kann er an Schadens-
ersatz fordern, worum der Schade den abgetretenen Enati
oder Ersatzanspruch übersteigt Dann hat er die ganze Gegen-
leistung zu entrichten; eine andere Auffassung, die Annahme
eines Differenzanspruchs, ist in diesem Falle nicht möglich.
Der unschuldige Teil kann aber auch, indem er wiederum
das Verschulden des Gegners auf sich beruhen läßt, geltend
machen, daß sich die Gegenleistung von selbst nach kauf-
mäOigen GrundsStzen Insoweit gemindert hat, als der Wert
des Ersatzes oder Ersatzanspruchs hinter dem Wert der un-
möglich gewordenen Leistung zurfickbleibt.
Wie steht es bei dieser Fülle von Möglichkeiten mit der
verbindlichen Kraft der Entscheidung des Berechtigten für das
eine oder das andere Recht? Planck' hat sich dafür aus-
gesprochen, daß nicht nur der Rücktritt, sondern auch das
Verlangen des Schadensersatzes und die Berufung auf § 323
mit Rücksicht auf Treu und Glauben und die Interessen des
Gegners als unwiderrufliche Erklärungen aufeufassen seien.
Er hat Beifall gefunden, insbesondere von Kisch und Oert-
mann^. Ich habe schon früher dieser Auffassung wider-
sprochen^, der sodann auch Schollmeyer* und Crome*
entgegengetreten sind. Die Frage wird, wie mir scheint, durch
die Betonung des prinzipiellen Unterschiedes zwischen den
grundsätzlich unwiderruflichen Erklärungen von rechtsgeschäft-
lichem Charakter und den grundsitzllch widerruflichen Er^
klärungen, welche nur Befiriäigung eines Anspruchs fordern,
einer sicherern Beantwortung entgegengeführt.
Unwiderruflich ist, wie früher bemerkt, der Rücktritt. Dies
erklärt sich aus seiner rechtsgeschäftlichen Natur und den
Wirkungen, die ihm zukommen. Das Verlangen des Schadens-
1 Planck zu 5 325 Anm. 2.
2 Kisch, Die Wirkungen der nachträglich eintretenden Unmöglichkeit
der Erfüllung bei gegenteltigai Vertrigen S. 158 ff. Oertmann zu $375
Anm. 4.
3 Kipp zu Windscbeid II $321 S.aODc
* Schollmeyer zu § 325. Anm. 5.
5 Cromo, System II S. 1^3 If.
126 KjPP|
ersatzes dagegen ist das Verlangen der Erfüllung eines be-
stehenden Anspruchs, von dem nach den oben vertretenen
Anschauungen der Berechtigte wieder Abstand nehmen kann.
Es ist rein willkürlich, ihm den Charakter einer bindenden
Wahl beizulegen. Der Sinn der Wahlerklärung bei der Alter-
nadvobligation ist: ich will diese Leistung und die andere
nicht Wer aber Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangt,
hat im Zweifel nicht den Willen, sich des Rücktrittsrechts zu
berauben, ohne Rücksicht auf den Erfolg seines Schadens-
ersatzbegehrens. Ihm ist das Recht einzuräumen, von diesem
Begehren abzugehen und seine Interessen auf jede ihm dienlich
scheinende andere Weise zu verfolgen.
Allerdings, eine gewisse Schranie wird dem lus variandi
mit Rfieksicht auf Treu und Glauben zu ziehen sein. Aber
ich glaube nicht, daß es zur Rechtfertigung des Abgehens vom
Schadensersatzanspruch besonderer Umstände von der Art
bedarf, wie sie Schollmeyer namhaft macht: der Schuldner,
anstatt die Schadensersatzforderung zu befriedigen, vergeudet
sein Vermögen und gefährdet dadurch die Bonität der Schadens-
ersatzforderung. Es wird meines Erachtens das ius variandi
einzig und allein dann ausgeschlossen, wenn der Schuldner
auf das Erfordern der Schadensersatzleistung diese sofort
anbietet. Ein weiteres kann durch die Berücksichtigung von
Treu und Glauben im Interesse des Schuldners nicht gerecht-
fertigt werden. Hat der Gläubiger Klage auf Schadensersatz
wegen Nichterfüllung erhoben, so darf nicht mit Crome und
Schollmeyer gesagt werden, daß das rechtskräftige Urteil
dem ius variandi ein Ziel setzt. Die Stellüng, in die sich der
Gläubiger durch die Klageerhebung bringt, ist folgende. Sobald
die mundliche Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache be-
gonnen hat, kann der Beklagte der Zurücknahme der Klage
widersprechen (ZPO. 271). Würde der Kläger so unvorsichtig
sein, auf den Schadensersatzanspruch zu verzichten, in der
Absicht, nunmehr andere Rechte geltend zu machen, so würde
der Beklagte ein abweisendes Urteil erzielen können (ZPO. 306),
und es scheint mir unzweifelhaft, daß angesichts eines solchen
der Kliger ebensowenig auf eines der andern Rechte greifen
könnte, als wenn er außergerichtlich den Schadensersatzan-
spruch durch Erlaßvertrag beseitigt hätte. Will der Kläger
im Prozesse vom Schadensersatzanspruch zur Kondiktion
seiner Leistung auf Grund des § 323 oder zur Rückforderung
auf Grund nun erklärten Rücktritts übergehen, so ist das
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Kipp. 127
Klageinderung, die aber gemIO ZPO. 264 vom Beklagten
nicht metir absolut verhindert werden kann (Schollmeyer).
Allein der Kläger kann auch im Laufe des Prozesses zurück-
treten und die Abweisung seiner Klage als einer infolge des
Rücktritts nunmehr unbegründeten über sich ergehen lassen,
was der demnächstigen Geltendmachung der aus dem Rück-
tritte folgenden Ansprüche nicht entgegensteht. Ist der Beklagte
zur Schadensersatzleistung rechtskräftig verurteilt, so ist meines
Erachtens selbst dann noch der Kläger nicht gehindert, den
Rücktritt zu erklären. Hierdurch erlischt der Anspruch auf
Schadensersatz, und an seine Stelle treten die dem Rficktritt
gemäßen Ansprüche. Es liegt darin ein einfacher Vorgang der
Änderung der materiellen Rechtslage nach dem Urteil; dem
Versuch der Vollstreckung hat der Beklagte durch Klage gemäß
ZPO. 767 entgegenzutreten.
Entsprechendes wie yon dem Schadensersatzanspruch gilt
von dem Verlangen der Abtretung d^ Ersatzes oder Ersatz-
anspruchs, den der Schuldner in Händen hat. Hier ist zu-
vörderst zu beachten, in welchem Verhältnis dieses Ver-
langen zu dem Schadensersatzanspruch selbst steht. Und
darüber ist glücklicherweise dem Gesetz eine sichere Ent-
scheidung zu entnehmen. Wenn § 281 Abs. 2 BGB. bestimmt:
»Hat der Gläubiger Anspruch auf Schadensersatz wegen Nicht-
erfüllung, so mindert sich, wenn er von dem in Abs. 1 be-
stimmten Rechte Gebrauch macht, die ihm zu leistende Ent-
schädigung um den Wert des erlangten Ersatzes oder Ersatz-
anspruchs", so ist damit nicht gemeint, daß der Gläubiger
sich auf den Schadensersatzanspruch anrechnen lassen muß
den Wert des Ersatzes oder Ersatzanspruchs, den der Schuldner
erlangt hat, sondern der Gläubiger muß sich anrechnen lassen
den Wetty den er, der Gläubiger, durch Abtretung seitens des
Schuldners erlangt hat Damit steht fest, dafi die Minderung
des Schadensersatzanspruchs nicht durch das Verlangen nach
dem Surrogat, sondern erst durch die Erfüllung dieses Ver-
langens eintritt. Treu und Glauben verlangen auch durchaus
nicht, daß der Schuldner, der das Verlangen des Gläubigers
unerfüllt gelassen hat, sich nachher auf jenes Verlangen sollte
berufen können. Treu und Glauben verlangen nur, dafi der
Gläubiger nicht zurücksptingt, wenn der Schuldner das ver-
langte Surrogat sofort anbietet. Den letzten Satz könnte man
unmittelbar durch Hinweis auf die Rechtsregeln über den
Vertragsantrag stützen wollen. Allein man kann in dem
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128 Kipp.
g^s^ 1 I I I I ^^^^^ ^ i r^
atngesprochenen Verlangen des Gläubigers nach Abtretang
des Surrogats einen Vertragsantrag nicht erblicken. Man
würde auch bei Anwendung jener Vorschriften zu einem
nicht wohl annehmbaren Ergebnis kommen. Denn der Ver-
tragsantrag erlischt, wenn er nicht rechtzeitig angenommen
wird, von selbst in der Art, daß er nicht mehr angenommen
Verden kann. In unserem Falle aber wird man nicht sagen
wollen, dafi das Verlangen der Abtretung des Ersatzes von
selbst erlischt, wenn es eine 2^itlang unerfüllt geblieben ist,
sondern man kann nur behaupten, daß es in diesem Falle
widerrufen werden kann. Genau ebenso ist für den um-
gekehrten Fall zu entscheiden, den Fall nämlich, daß der
Gläubiger zuerst Schadensersatz fordert und dann Abtretung
des Ersaues oder Ersatzanspruchs begehrt. Das Recht hierzu
ist ihm zuzusprechen, wenn nicht der Schuldner auf das
Schadenaersatzveriangen hin sofort den Schadensersatz an-
bietet Nicht anders aber ist auch das Verhälmis des An-
spruchs auf Abtretung des Ersatzes zu den übrigen Rechten
des Gläubigers zu bestimmen. Nur die sofortige Abtretung
gemäß dem gestellten Verlangen schneidet dem Gläubiger das
Rücktrittsrecht ab und weist ihn darauf an, den etwaigen
weitergehenden Schadensersatz nachzufordern oder wegen
Minderwertigkeit des erlangten Ersatzes die Minderung der
Gegenleistungspflicht geltend zu machen.
Nun aber bedarf noch der Beantwortung die Frage, inwie-
fern die Berufung des Berechtigten auf § 323 ihn bindet.
Wir denken dabei zunächst an die Berufung auf das Erlöschen
der Leistungspflicht. Hier ist ein doppeltes Verhältnis ins
Auge zu fassen, nämlich zu dem Schadensersatzanspruch und
zu dem Rficktritt Ich habe firüher angenommen, dafl die Be-
rufung auf S 323 den Schadensersatzanspruch ohne weiteres
ausschließe. Das läßt sich aber nur aufirecht erhalten ISr
den Fall, daß der Berechtigte seinerseits aus dem Vertrage
noch nicht geleistet hat. Denn in diesem Falle kann die Be-
rufung auf § 323 niemals ohne praktischen Erfolg sein. Zu-
gleich ist zu beachten, daß die Berufung auf das Erlöschen
der Leistungspflicht und der Rücktritt, wenn der Bertfchtigte
noch nichts geleistet hat, auf ein und dasselbe hinauslaufen.
Hat aber der Berechtigte seine Leistung aus dem Vertrage
bereits bewirkt, so gestaltet sich die Berufung auf $ 323 zu
dem Verlangen der Rückleistung nach Maßgabe der Vorschriften
über die ungerechtfertigte Bereicherung. An dieses Verlangen
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ist der Berechtigte nur bei sofortigem Erbieten des Gegners
zur Eriiillung gebunden. Andernfalls kann der Berechtigte
auf die Rüge des Verschuldens des Gegners zurückkommen
und nun entweder Schtdensenatz wegen Nichterfüllung fordern,
oder zurficktreten und die Rfickgewihr seiner Leistung in der
strengeren Art des $ 347 verlangen.
Von den aufgestellten Prinzipien: grundsätzliche Unwider-
ruflichkeit rechtsgeschäftlicher Erklärungen, grundsätzliche
Widerruflichkeit gehorsamfordernder Erklärungen in Erman-
gelung sofortigen Gehorchens des Gegners ist auch in andern
FlUen bei Prfifting der Frage auszugehen, inwiefern ein auf
die Ausübung des einen Rechts gerichteter Schritt geeignet ist,
den Berechtigten eines zweiten Rechts zu berauben. Unter
Umständen greifen besondere Vorschriften ein. Aber selbst
dann ist die Hilfe jener allgemeinen Sätze nicht selten will-
kommen. Wenn der Gläubiger die Leistung des Geschuldeten
verlangt, so vergibt er seinem Rechte auf die wegen Nicht-
leistung geschuldete Vertragsstrafe nichts, während das ein-
malige Verlangen der Vertragsstrafe das Recht auf ErfSUung
vernichtet (340). Man mufi al^r behaupten, daß der Qaubiger^
der Erfüllung verlangt, die daraufhin sofort angebotene Er^
füllung auch annehmen muß.
Wenn die Leistung im Falle des Verzuges für den Gläubiger
kein Interesse hat, so kann er nach § 286 BGB. unter Ablehnung
der Leistung Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen.
Hat ein Gliublger nach Beginn des Verzuges noch die ErfSllung
verlangt, aber nicht erhalten, so kann er ungehindert unter
Beruftmg auf sein mangelndes Interesse die Leistung noch ab-
lehnen und Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen.
Gleichgültig ist dabei, ob die Umstände, aus denen er den
Mangel seines Interesses an der Leistung ableitet, zur Zeit
des Verlangens der Leistung schon vorlagen oder nicht, dem
Gläubiger bekannt oder unbekannt waren. Der Gläubiger
kann, auch wenn er Jene UmstSnde kennt, sich mit der Er^
fiillung zufriedengeben wollen; aber nichts berechtigt den
Schuldner, den Gläubiger dabei festzuhalten, wenn er nicht
sofort das Verlangte geleistet hat. Umgekehrt bindet den
Gläubiger das Verlangen des Schadensersatzes wegen Nicht-
erfüllung nicht, wenn nicht sofort der Schadensersatz geleistet
wird; der Gläubiger kann vielmehr, wenn die sofortige Leistung
ausbleibt, die Behauptung mangelnden Interesses an der Er-
fiillung [ederzelt feilen lassen und auf ErfQUung bestehen«
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130 Kipp.
Ebenso ist im Falle der Verletzung einer Person oder der
Beschädigung einer Sache sowohl das Verlangen der Her-
stellung, wie das des dazu erforderlichen Geldbetrages (249)
für den Gläubiger nicht verbindlich, wenn nicht der Schuldner
sofort die verlangte Leistung anbietet
Ailgemein Innn im Falle der Schadensersatzpflieht der Gläu-
biger dem Verpflichteten eine angemessene Frist zur Herstellung
bestimmen mit der Erklärung, daß er die Herstellung nach dem
Ablauf der Frist ablehne (250). Erst der fruchtlose Ablauf der
Frist ruft hier den Anspruch auf Geldersatz ins Leben und ver-
nichtet den Anspruch auf Herstellung. Während Laufes der
Frist ist der Gläubiger nicht daran gehindert, den Anspruch auf
Herstellung zu verfolgen. Der siegreiche Kläger, der die Er-
füllung des Urteils verlangt oder die ZwangsvoUstreekung ein-
geleitet hat, ist damit selbstverständlich nicht der Möglichkeit
beraubt, gemäß $ 283 eine Frist zur Erfüllung des Urteils zu be-
stimmen mit der Erklärung, daß er die Annahme der Erfüllung
nach Ablauf der Frist ablehne. Nimmt der Gläubiger die Frist-
setzung vor, so liegt darin keineswegs eine Stundung bis zum
Ablauf der Frist oder die Einräumung der freien Wahl, ob der
Schuldner Innerhalb der Frist erfüllen oder nach Ablauf der
Frist Schadensersatz in Gelde leisten wolle; der Gläub^r
kann während Laufes der Frist Zwangsvollstreckung aus dem
Urteil betreiben. Im Falle des Verzuges einer Partei im gegen-
seitigen Vertrage ist die andere Partei, wenn sie zur Frist-
setzung gemäß § 326 geschritten ist, ebenfalls nicht darauf an-
gewiesen, das Ergebnis geduldig abzuwarten, sondern sie kann
während Laufes der Frist alle Schritte zur Beitreibung der
geschuldeten Leistung tun; erst nach Ablauf der Frist ist der
Anspruch auf Erfüllung ausgeschlossen. Die einmal gesetzte
Frist kann aber der Gläubiger nicht mehr einseitig zurück-
nehmen. Er kann nichts daran ändern, daß sein Anspruch
mit fruchtlosem Ablauf der Frist in einen Anspruch auf Geld-
ersatz umschlägt (woneben im Falle des § 326 noch das Rück-
trittsrecht steht). Die Fristsetzung ist ein Rechtsgeschäft, eine
ihrem Inhalt zufolge ttedingt rechtsindemde Erklärung, wenn
auch die Rechtsfolgen, die sie herbeifQhrt, nur in einer etwas
verschleierten Form, der Androhung der Ablehnung der Leistung,
zum Ausdrucke kommen.
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V.
Wir sind davon ausgegangen, daß die ihrem Inhalt nach
nur gehorsamfordernden Erklärungen grundsätzlich von dem
Berechtigten für die Zukunft zurückgenommen werden können.
Diesen ErUärungen ist antiparallel die geliommweigernde Er-
klSrung des Einrede1>erechtigten, aucli sie luinn beliebig ab-
gegeben und zurückgenommen werden.
Wir wissen, daß das BGB. den bisherigen Begriff der
Einrede im materiellen Sinne des Worts festhalten und ihn
nur schärfer ausprägen wollte, indem es die Einrede als ein
Recht konstruierte, die Leistung zu verweigern. Die gemeine
Meinung geht nun gewiß dahin, daß die außergerichtliche
Geltendmachung einer Einrede keinerlei rechtsverfindernden
Charakter hat. Sie ist anzusehen als die Ausübung des
Weigerungsrechts, wie die Mahnung Ausübung des Anspruchs
ist. Der Einredeberechtigte kann sich der Erfüllung weigern,
so oft sie von ihm verlangt wird; er kann im voraus aus-
sprechen, daß er sich weigern werde, wenn dieses Verlangen
an ihn herantreten sollte; aber der Anspruch besteht als ein
einredebehafteter wie zuvor, mag der Binredeberechtigte sich
noch so oft geweigert haben,' ihm gerecht zu werden. Dem
gegenüber ist neu^dings die Ansicht verfochten worden, daß
die einmalige, wenn auch aufiergerichtliche Verweigerung der
Leistung auf Grund einer peremtorischen Einrede den An-
spruch anfechtungsgleich mit rückwirkender Kraft vernichte.
Für die gerichtliche Geltendmachung der Verjährungseinrede
hatte schon Hey mann > vom Standpunkte des früheren Rechtes
aus Ähnliches behauptet. Hölder^ hat in' seinem Kommen-
tar fOr alle peremtorischen Einreden und auch für deren
außergerichtliche Geltendmachung die bezeichnete Auffassung
scharf formuliert. Vor allem hat sie Hellwig^ wiederholt
eingehend verteidigt. Holder* aber hat sie in einer Kritik
von Hei Iw ig s Anspruch und Klagerecht für die außergericht-
liche Geltendmachung der Einrede ebenso scharf verworfen,
> Heyrnfton, Dm Voncbfiuen der Veijihrung, BretUu 1865 (bes.
S. 154 fP.).
2 Holder, Allgem. Teil S. 406f.
3 Hellwig, Anspruch und Klsgerecht S. 11 ff. Lehrb. d. Zivilprozessr.
I S. 248ff.
^ Hölder, Zeitschr. f. deutsch. Zivilproz. XXIX S.72flL S. «ich den-
selben Arcb. f. zivil. Prax. LXXXXIII S. 74.
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132 Kjpp. ^
wie er sie früiier hingestellt hatte. Neuestens ist auch Siber*
in eingehender Ausführung gegen Hellwig aufgetreten.
Heliwig glaubt seine Auffassung in den Motiven des ersten
Entwurfs zum BGB. wieder zu fSiden. Dabei ist aber ein
Ausleguogsversehen untergelaufen. An der fraglichen Stelle
der Motive (II. S. 882) ist davon die Rede, daß die condictio
indebiti auch dann begründet ist, wenn der Schuldner auf eine
Forderung geleistet hat, der eine peremtorisclie Einrede ent-
gegenstand. Die Motive sagen dazu:
„Die mit einer peremtorischen Einrede behaftete Forderung ist, wenn
der Schuldner die Einrede dem Gläubiger gegenüber geltend macht,
so anitiseheii, als ob sie nie bestanden bitte."
Dabei ist das Präsens höchst charakteristisch. Um im Sinne
Hellwigs verwertet werden zu können, müßte der Paasua
dahin gefaßt sein: Wenn der Schuldner dem Glaubiger
gegenüber die Einrede einmal geltend gemacht hat, so ist
die Forderung anzusehen, als hätte sie nie bestanden. Das
aber steht eben nicht da, und damit entfällt die Beweiskraft
der Stelle für Hellwigs Anschauung. Es wäre auch sehr
sonderbar, wenn die Motive im zweiten Bande die Auffassung
Hellwigs hätten proklamieren wollen, nachdem sie am Sitze
der Materie im ersten Bande (S. 360) eine durchaus entgegen-
gesetzte Auffiissung vertreten hatten. Sie stellen dort zwar
das Anfechtungsrecht mit dem Einrederecht in Vergleiehung,
fOgen aber hinzu:
„Das letztere nnterscheidet sich von dem ersteren dadurch, daß die
Anfechtung ein einseitiges, den Anfechtenden bindendes Rechtsgeschäft
ist, welches sowohl im Prozesse wie aul^ertialb desselben erfolgen
kann, sowie dadurch, daß mit der Anfechtung der Anspruch aufgehoben
ist, während die Einrede nur im Prozesse mit Erfolg geltend ge-
macht werden kann und sich nicht gegen den Bestand des Anspruchs,
sondern nur gegen dessen DurchfBhrung richtet.*
Die von Hellwig verteidigte Möglichkeit, den Anspruch
durch außergerichtliche Geltendmachung der Einrede zu ver^
Dichten, wird also von den Motiven so deudich wie mdgüch
geleugnet Hiermit ist die Sache natürlich keineswegs abgetan,
um so weniger, als die Motive darin unzweifelhaft irren (oder
wenigstens auf die Gestaltung der Einrede im BGB, nicht
passen), daß sie die außergerichtliche Geltendmachung der
Einrede überhaupt nicht als rechtlich erheblich ansehen.
1 Siber, der Rechtszwang im Schuldvcrhältnis. Leipzig 1903 S. 1431L
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KipP| 133
Die Ausdrucksweise, deren sich das Gesetz zur Umschreibung
der peremtorischen Einrede bedient, ist: Einrede, durch welche
die Geltendmachung des Anspruchs dauernd ausgeschlossen
wird (813. 886 usw.). Hellwig (Zivilprozeß I S. 151) legt dies
dahin aus, daß durch den Gebrauch der Einrede die Geltend-
machung des Anspruchs dauernd ausgeschlossen werde; allein
mir scheint, wenn ii^end etwas, so das sicher zu sein, daß
das Gesetz der bloßen Existenz des Einrederechts diese Funlition
beilegt. Durch den Gebrauch der Einrede soll ja auch nach
Hellwigs eigener Meinung nicht die Geltendmachung des
Anspruchs ausgeschlossen, sondern dieser selbst vernichtet
werden und zwar rückwirkend. Die Redeweise des Gesetzes
stimmt also mit Hellwigs Ansicht in keinem Falle überein.
Im S 2318 BGB. findet Hellwig (S. 253) eine Bestfitigung
seiner Ansicht insofern, als dort als Inhalt einer Einrede be-
stimmt werde, der Schuldner könne seine Schuld kürzen, d. h.
teilweise aufheben. Diese Auslegung ist aber ohne Grund;
kürzen heißt dort nichts als: die Erfüllung teilweise verweigern.
Hellwigs wesendichster Grund ist dem Prozeßrecht ent-
nommen. Hellwig sagt (Zivilprozeß S. 249): wenn die perem-
torische Einrede im Prozesse geltend gemacht wird, so ist der
Erfolg die Abweisung der Klage in der Sache selbst Das Ist
aber die Feststellung, daß der Anspruch nicht besteht. Also
muß die Abweisung aus dem materiellrechtUchen Grunde er-
folgen, daß durch die Leistungsverweigerung der Anspruch auf-
gehoben ist. Und was für die gerichtliche Leistungsverweige-
rung gilt, das muß auch für die außergerichtliche gelten: sie muß
den Anspruch vernichten. Dieser Argumentation kann nicht bei-
getreten werden. Das Uagabwelsende Urteil, welches bei Gel-
tendmachung der Einrede ergeht^ ist zunächst doch nur dieZurfick-
weisungdesAhtrages auf Erlaß eines staadlchen Leistungsbefehls
zur Durchfuhrung des behaupteten Anspruchs. Der Prozeß hat
für das Gebilde des bestehenden, aber durch Einrede gehemm-
ten Anspruchs kein selbständiges Organ. Der nicht entstan-
dene, der untergegangene Anspruch und der Anspruch, dem
der Beklagte kraft Einrederechts den Gehorsam verweigern kann
tmd verweigert, stehen vielmehr im prozessualen Endergebnis
einander mit Notwendigkeit gleich. Wenn es privatrechtlich
einen Sinn hat, zwischen einem nicht vorhandenen und einem
einredebehafteten Anspruch zu unterscheiden - das BGB. geht
hiervon unzweifelhaft aus — und wenn dieser Unterschied im
Prozesse sich insofern geltend macht, als der Richter die Ein-
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134 Kipp.
rede nur berücksichtigen darf, wenn der Beklagte dies als
seinen Wunsch zu erkennen gibt — dies ist die Grund-
anschauung des BGB., die für uosern Zweck nicht weiter zu
kriäsieren ist — so bestellt dodi für das Urteil nur ein Ent-
weder—Oder. Entweder der stsadiclie Befelil zur Bezahlung
von 1000 Mk. ergeht, oder er ergeht nicht. Ihn zu erlassen
unter Vorbehalt des Rechts der Gehorsamsverweigerung auf
Grund eines Weigerungsrechts, das im Prozesse geltend ge-
macht werden konnte und geltend gemacht ist, wäre gar zu
unzweckmäßig, als daO das Recht sich darauf einlassen sollte.
Die Vorbehaltsurteile, die unser Zivilprozeß kennt, beruhen
auf dem Ausschluß der vorhehaltenen Verteidigungsmittel aus
dem dem Urteil vorangehenden Verfohren. Ist die Klage auf
Grund der peremtorischen Einrede abgewiesen und das Urteil
rechtskräftig, so steht der erneuten Geltendmachung des
Anspruchs die Rechtskraft des Urteils entgegen, nicht weil
feststeht, daß der Anspruch durch Erhebung der Einrede unter-
gegangen ist — wie Hellwig will — , sondern vielmehr ohne
daß darnach zu fragen ist, ob die Abweisung wegen Nicht-
entsiehung, wegen Unterganges oder wegen einer geltend
gemachten peremtorischen Einrede erfolgt ist. Wenn aber
nach der Organisation des Prozesses das Nichtlelstenmüssen
und das Zwarleistenmüssen aber Sichweigernkönnen bei der
Leistungsklage im Ergebnis notwendig auf dasselbe hinausläuft,
so beweist das nichts in bezug auf die Bedeutung außergericht-
licher Leistungsweigerung. Es ist und bleibt eben ein großer
Unterschied, ob auf die Leistungsweigerung ein rechtskräftiges
Urteil zu Ungunsten des Anspruchs erfolgt ist oder nicht Das
Endgültige, das der Sache im Falle der rechtskräftigen Ab-
weisung auf Grund der Geltendmachung einer Einrede anhaftet,
ist Folge der Rechtskraft des Urteils, nicht der einmaligen
Geltendmachung der Einrede.
Hellwig (Zivilpr. S. 252) zieht aus seiner Auffassung auch
die Folgerung, daß der Schuldner, dem eine peremtorische Ein-
rede zusteht, nachdem er einmal die Leistung verweigert hat,
auf Feststellung der Nichtleistung des Anspruchs klagen könne.
Ich glaube statt dessen mit Siber, daß der Schuldner, mag
er die Leistungsweigerung schon ausgesprochen haben oder
nicht, sein Einrederecht — und nichts weiter — gerichtlich
feststellen lassen kann.
Die Ausübung des Einrederechts, die Weigerung, ist, wir
wiederholen es, jederzeit frei widerruflich. Wer sich heute
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Kipp. 135
der Erfüllung geweigert hat, kann morgen die Weigerung fallen
lassen, wie derjenige, der heute gemahnt hat, morgen die An-
nahme der Leistung ablehnen kann. Fraglich kann sein, inwie-
weit die Weigerung der ausdrücklichen Bezugnahme auf das
Einredoredit fiberluii]M bedarf. Hier ist grundsilzlidi davon
auszug^o, daß die Rechtsansübung von rlcbtigen Vorstellungen
über den Grund des Rechts nicht getragen zu sein braucht,
noch weniger der Berechtigte die richtigen Gründe für sein
Recht anführen muß. Wer mahnt, muß nur das Forderungs-
recht individuell erkennen lassen, aus dem er mahnt, aber es
ist gleichgültig, ob er es richtig begründet. Für die Geltend-
machung der Einrede ist nichts weiter erforderlich, als daß
kein Zwetfd darfiber ist, gegen welches Ansinnen die Weigerung
sieb ricbtet — und solcher ZweiM wird regdmiOig voll-
ständig ausgeschlossen sein — nicht aber ist erforderlich, dafi
die Weigerung auf einen Einredegrund, und zwar den richtigen,
ausdrücklich gestützt wird. Daß das BGB. von dieser An-
schauung ausgeht, wird meines Erachtens dadurch bewiesen,
daß nirgends von dem Einredeberechtigten verlangt wird, daß
er »aus diesem Grunde" die Leistung zu verweigern habe,
wihrend in den Fitten der Zurückweisung einer gegnerischen
ErUSrung wegen gewisser Mangel (III. 174. lldO) mit jenen
Worten die ausdrückliche Bezugnahme auf den Zurückweisungs-
grund verlangt wird. Es wird nicht behauptet, daß hierin ein
Unterschied der Einrede gegenüber der Anfechtung liegt. Denn
auch die Anfechtung verlangt nichts weiter, als daß der
Anfechtungsberechtigte den Willen zu erkennen gibt, das an-
gelbchtene Rechtsgeschäft nicht gellen zu lassen; es ist nicht
nötig, daß er dies zutrdüend bei^ndet Jedenfalls aber liegt
darin ein großer Unterschied der Geltendmachung einer Ein-
rede gegenüber der Anfechtung, daß jene nicht wie diese ein
— einseitiges, empfangsbedürftiges — Rechtsgeschäft ist Die
Vollmacht zum Einkassieren müßte nicht notwendig die Voll-
macht zum Anhören der Leistungsweigerung einschließen,
wenn diese ein Rechtsgeschäft wäre. Und doch wird niemand
beswdfeln, daß der einredeberechtigte Schuldner unter allen
Umständen sich rechtmäßig der Leistnng den^nigen gegen-
über weigert, der die Förderung geltend zu machen bevoll-
mächtigt ist.
Wie fern das BGB. der Theorie Hellwigs steht, geht deut-
lich aus einer Reihe von Vorschriften hervor, die freilich Hell-
wig als eine Bestätigung des von ihm vertretenen Rechtsge-
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136 Kipp.
dankens ansieht, deren Beweiskraft gegen Hellwig aber schon
Siber zutreffend hervorgehoben hat. Nach $ 886 BGB. kann
derjenige, dessen Grundstück oder dessen Recht von einer
Vormerkung betroffen ist, von dem GlSubiger die Beseitigung
der Vormerkung verlangen, wenn ihm eine peremtorische Ein-
rede zusteht Nach Hellwig könnte der Belastete dem Be-«
rechtigten gegenüber sich einmal außergerichtlich weigern, den
durch die Vormerkung gesicherten Anspruch zu erfüllen; dann
wäre dieser Anspruch erloschen, und es wäre ganz selbstver-
ständlich, daß die Beseitigung der Vormerkung verlangt werden
könnte. Daß dies Verlangen berechtigt ist, wenn der durch
die Vormerkung gesicherte Anspruch nicht besteht, spricht
das Gesetz nirgends aus; für des Ausdrucks bedflrfUg sieht es
nur an, daß die Beseitigung der Vormerkung verlangt werden
kann, wenn der Anspruch zwar besteht, aber eine perem-
torische Einrede gegen ihn begründet ist. Das Gesetz handelt
hier vom Standpunkte der einmal angenommenen Einrede-
theorie aus ganz folgerichtig; aber es hätte nicht so handeln
können, wenn es der Ansicht gewesen wäre, dafi durch ein-
malige Leistungsweigerung der einredeliehaftete Anspruch zu
einem nichtexistierenden würde. Denn in diesem Falle wäre
die Vorschrift des § 886 nicht nur überflüssig, sondern irre-
führend, eine Verschleierung der wahren Ansicht des Gesetzes
von der Geltendmachung der Einrede. In gleicher Art wider-
spricht der Theorie Hellwigs auch $ 1254 BGB. Es wäre
vom Standpunkte Hellwigs aus nicht nötig, den Verpfinder
zu ermSchtigen, daß er auf Grund peremtorischer Einrede die
Herausgabe des Pfandes verlangen kann, woraus dann die
Vernichtung des Pfandrechts folgt (1253), sondern ihm wäre
einfach zu sagen: vernichte durch Leistungsweigerung die
Pfandforderung und damit das Pfandrecht (1252) und fordere
dann die Sache zurück, weil das Pfandrecht erloschen ist.
Freilich glaubt Hellwig (Zivilprozeß I S.253) von seinem
Standpunkte aus die besprochenen Vorschrifken als berech-
tigte verteidigen zu können« Er sieht ihre Besonderheit
darin, daß der Einredeberechtigte nicht zu warten brauche,
bis die Leistung gefordert werde, sondern vielmehr sofort
die Rechtsfolgen geltend machen könne, die auf Grund
des Gebrauchs der Einrede entstehen, während im allge-
meinen die Einrede erst geltend gemacht werden könne,
wenn die Leistung gefordert werde. Die Mögliclikeit dieses
Auswegs ist zuzugeben, obwohl, wenn man die Geltendmachung
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Kipp. 137
der Einrede anfechtungsartig auffaßt, nicht recht einzusehen
ist, weshalb der Schuldner nicht grundsätzlich imstande sein
sollte, die Vernichtung des Anspruchs auch ohne dessen vor-
herige Geltendmachung herbeizuffihren. Hellwig glaubt (Zivil-
prozeß I S. 248 f.), daß trotz Existenz eines Einräerechts vor
wirksamer Geltendmachung der Einrede der Anspruch seine
gewöhnliche Wirksamkeit entfalte, die Mahnung Verzug be-
gründe, die Vertragsstrafe verfalle, die Ausübung eines wegen
des Anspruchs zustehenden Wahlrechts wirksam sei usw., nur
werde dies alles mit wirksamer Geltendmachung der Einrede
rückwirkend vernichtet Nach meiner Ansicht ist das afcher-
lich unzutreffend; es kann, wenn dem Anspruch eine Einrede
entgegensteht, wie schon im gemeinen Recht, Verzug nicht
eintreten und Vertragsstrafe nicht verfallen. Aber wenn Hell-
wigs Ansicht richtig wäre, so würde Verzug trotz Existenz
eines Einrederechts bei Eingreifen des § 284 Abs. 2 auch
ohne Mahnung begründet werden, und ebenso die — vom
Verzuge abhangige (339) — Vertragsstrafe verfallen. Auch
müßte trotz eines Einrederechis das Rficktrittsrecht wegen
Nichterfüllung (300^ 361) begründet werden. Wenn nun der
Oläubiger die Vertragsstrafe wegen Nichterfüllung forderte oder
zurücktreten wollte, ohne jemals die Leistung selbst gefordert
zu haben, so würde Hellwig sicherlich zugeben, daß der
Schuldner sich durch Geltendmachung der Einrede gegen
solche Folgen wehren könnte. Er hätte damit aber zugegeben,
daß die ältendmachung der Einrede ohne Einforderung der
Leistung immer möglich ist, wenn das Interesse des Schuldners
es verlangt, und zwar ohne daß das Gesetz dies sagt; es
bliebe also immerhin auffällig genug, daß in den §§ 886, 1254
das BGB. dahingehende besondere Vorschriften aufstellte.
Jedenfalls aber ist § 1169 BGB. mit Hellwigs Theorie
auf keine Weise zu vereinigen. Auf Grund peremtorischer
Einrede gegen die Hypothek kann verlangt werden, daß der
OlSubiger auf die Hypodiek verzichtet, die dann nach $ 1108
an den Eigentümer fallt. Das Gesetz gewährt hier dem Ein-
redeberechtigten zweifellos weniger, als es ihm nach Hell-
wigs Ansicht gewähren müßte. Nach jener Ansicht müßte
durch einmalige Leistungsweigerung die Hypothekforderung
erlöschen und zwar mit Rückwirkung auf die Zeit der Begrün-
dung der Einrede. Von da an müßte nach % 1163 die Hypothek
als dem Eigentümer zustehend betrachtet werden. So ist es
aber Im FaUe der peremtorlschen Einrede nach Inhalt des
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138 WPJ^
Gesetzes zweifellos nicht, sondern die Hypothek fällt erst vom
Augenblick des Verzichts an den Eigentümer.
Zutreffend macht S Iber weiter geltend, daß die Ansprüche
iiif Aufhebting eines Aospntciw, dessen Erlsngung eine un-
gerechtfertigte Bereicherung darstellt, oder der durch uner-
laubte Handlung erlangt ist (812, 853), vom Standpunkte Hell-
wigs aus nicht berechtigt sein würden. Denn da gegen derartige
Ansprüche der Schuldner eine Einrede hat (821, 833), so
müßte er nach Hellwig im stände sein, jene Ansprüche selbst
durch einmalige Weigerung der Erfüllung zu vernichten. Hell-
wig könnte freilich die Gewährung des Aufliebungsanspnichs
wiederum damit begründen, daO die Vernichtung des Anspruchs
durch Leistungsweigerung die vorherige Einforderung der Lei-
stung voraussetze. Es ist aber schon oben ausgefQhrt, daß
diese Annahme in sich unhaltbar wäre.
Noch läßt sich folgendes hinzufügen: Im § 2083 bestimmt
das BGB., daß, wenn eine anfechtbare letztwillige Verfügung
eine Verpflichtung begründet (Vermächtnis, Auflage), der Ver^
pflichtete die Erfillung auch dann verweigern kann, wenn er
die Anfbchtungsfirist (2062) versiumt hat Wäre die Leistungs-
weigerung gleich der Anfechtung geeignet, den Anspruch rück-
wirkend zu vernichten, so wäre jene Bestimmung höchst selt-
sam; denn das Gesetz hätte dann besser getan, auszusprechen,
daß das Recht der Anfechtung einer auf letztwilliger Verfügung
beruhenden Verpflichtung überhaupt an keine Frist gebunden
ist. Es hätte weiterhin keinen Anlaß gehabt, die Anfechtung
einer Auflage ausschlielNich an die Adresse des Nachlafigerichts
zu verweisen (2061 Abs. 3), wenn es von der Ansicht ausge»
gangen wäre, daß die — einem Auflageberechrigten gegenüber
erklärte — Leistungsweigerung in der Wirkung der ^fechtung
gleichstehen sollte.
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OTTO LIEBMANN, Verlagsbuchhandlung, BERLIN W.
DER ENGLISCHE AKTIENSCHEIN (SHARE CERTIFICATE). Von Dr. .
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vortr. Rat im preuß. Justizministerium, ordenü. Honorarprofessor zu
Berlin. M. 1. — .
RECHTSWAHRNEHMUNG UND REURHCHT. Von Dr. Th. Kipp, ord.
Professor an der Universität Berlin. M. 1.—.
DAS RECHT ZUM BESITZE. Von Dr. Martin Wolff, a. o. Professor an
der Universitit Berlin. M. 1.—.
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direktor zu Berlin. M. 120.
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